Anlagen­technik im Wandel

Die Transformation zur klimaneutralen Gießerei

20240429-SO41
Abbildung 1: Drehkipptrommelöfen bei AMAG casting

Im Jahr 2008, als die erste Ausgabe des AluReport erschien, lag der Fokus bereits seit einiger Zeit auf der Steigerung der Energieeffizienz in den Hochtemperatur-Prozessen der AMAG-Gießereien. Die Einführung des Energiemanagementsystems ISO 50001 im Jahr 2013 erweiterte diese Bemühungen um eine weitere Dimension, doch zu dieser Zeit war die Vision eines klimaneutralen Gießereibetriebs noch nicht präsent. Seit einigen Jahren steht AMAG jedoch vor der Herausforderung, diesen Wandel aktiv anzugehen, und unternimmt entscheidende Schritte, um sich bestmöglich darauf vorzubereiten.

Gesetzliche Rahmen­bedingungen zur Erreichung der Klimaneutralität

Die Europäische Union (EU) hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Das bedeutet, dass sämtliche Mitgliedstaaten bis zu diesem Zeitpunkt keine Netto-CO2-Emissionen mehr verursachen sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen und Initiativen eingeführt. Diese zielen darauf ab, die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren und den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu fördern. Zu diesen Maßnahmen gehören unter anderem

  • der europäische Grüne Deal (EU Green Deal) [1]: mit seinem Zwischenziel „Fit for 55“ [2] und dem Europäischen Klimagesetz [3]
  • die EU-Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz [4]
  • das EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) [5]
  • der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) [6]

Als Erweiterung des EU-Green Deals von 2019 wurde im Jahr 2023 der Green Deal Industrial Plan [8] eingeführt. Dieser Plan zielt darauf ab, die Produktion sauberer Technologien in der EU auszubauen und sicherzustellen, dass die Union gut auf den Übergang zu sauberen Energien vorbereitet ist [9]. Schließlich wird die Dekarbonisierung durch das bereits seit längerem bestehende EU-Emissionshandelssystem mit entsprechender CO2-Bepreisung und dem am 1. Oktober 2023 gestarteten Carbon-Border-Adjustment-Mechanismus abgerundet.Um all diese ambitionierten gesetzlichen Rahmenbedingungen zu erfüllen, hat AMAG bereits vor mehreren Jahren eine Dekarbonisierungs-Roadmap erstellt und publiziert [7].Diese Roadmap wird laufend an aktuelle Entwicklungen und sich ­ändernde gesetzliche Rahmenbedingungen angepasst.

Recycling als wesentlicher Beitrag zur Klimaneutralität

Zur Erreichung der Klimaneutralität und, um klimaneutrale Produkte herzustellen, ergeben sich aus den Handlungsfeldern drei Säulen, auf welchen die AMAG-Strategie aufbaut [7]:

  1. Weitere Steigerung des Recycling-Gehalts in AMAG-Legierungen
  2. Weitere Verbesserung der Energieeffizienz
  3. Substitution von fossilen Brennstoffen durch alternative Energieträger

Alle drei Punkte tragen zur Erzeugung klimaneutraler Produkte bei. Die Punkte 2 und 3, Energieeffizienz und Substitution von fossilen Energieträgern, wirken sich auf AMAG als einen klimaneutralen Standort aus. Das Aluminium-Recycling stellt einen direkten Hebel zur CO2-Reduktion von Aluminium dar, da kein neues Material hergestellt werden muss.

Klimaneutrale Anlagentechnik

Die Umstellung auf klimaneutrale Technologien in Gießereibetrieben betrifft besonders die energieintensiven Schmelz- und Gießöfen (Abbildung 1). Weltweit wird hauptsächlich Erdgas (NG) als Energieträger in diesen Anlagen verwendet, wobei die Leistung der Beheizungssysteme in der Regel von einem Megawatt (bei Gießöfen) bis hin zum zweistelligen Megawatt-Bereich (bei großen Schmelzöfen) reicht. Daher stellt besonders bei erhöhten Leistungsanforderungen der Einsatz von Wasserstoff (H2) eine vielversprechende Option für die Dekarbonisierung der Öfen dar.

Beheizungssysteme auf Basis von elektrischer Energie sind nicht für die Verarbeitung von Schrotten mit organischen Anhaftungen geeignet und darüber hinaus auch nur bis zu einer maximalen Heizleistung von rund 2 MW verfügbar. Mittel- bis langfristig stellen auch Plasmabrennertechnologien, die sich aktuell in Entwicklung befinden, eine mögliche Alternative für einzelne Anwendungsbereiche dar. Für den Einsatz von Wasserstoff als Brennstoff gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Eine Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz: Dies führt nur zu einer geringfügigen Reduktion der CO2-Emissionen
  • Modifikation bestehender Erdgasbrenner-Systeme für den Einsatz von reinem Wasserstoff als Energieträger
  • Ersatz der Erdgasbrenner durch spezielle Wasserstoffbrenner, die darauf optimiert sind, reinen Wasserstoff effizient zu verbrennen

Die Verbrennung von Wasserstoff führt stöchiometrisch im Vergleich zu Erdgas zu deutlich höheren Wasserdampfgehalten in der Ofenatmosphäre bzw. im Abgas. So bewirkt beispielsweise die Verbrennung von H2 (Energieträger) mit Luft (Oxidationsmittel) eine beinahe Verdoppelung des H2O-Gehaltes in der Ofenatmosphäre, im Vergleich zur Verbrennung von NG mit Luft (siehe Tabelle 1).

Energieträger Oxidationsmittel H2O [vol.%] CO2 [vol.%] N2 [vol.%]
NG Luft 19 9 72
NG O2 33 67 -
H2 Luft 35 - 65
H2 O2 100 - -
Tabelle 1: Abgaszusammensetzung bei der Verbrennung von Wasserstoff und Erdgas mit Luft und Sauerstoff (λ = 1) [8,9]

Ein industrieller Einsatz von Wasserstoff als Energieträger kann zu diversen metallurgischen und prozessbezogenen Veränderungen aufgrund der erhöhten Wasserdampfgehalte im Ofen führen:

  • Wasserstoffaufnahme der Schmelze
  • Krätzebildung während Einschmelz- und Warmhalteprozessen
  • Veränderte Pyrolysereaktionen und -kinetik beim Schmelzen von Schrotten mit organischen Anhaftungen
  • Lebensdauerverkürzung von Feuerfestmaterialien
  • Emissionen
anlagentechnik-im-wandel-abbildung-3-wasserstoffloeslichkeit
Abbildung 3: Wasserstofflöslichkeit in EW AW-5083 im Gleichgewichtszustand [11]

Um diese Aspekte zu untersuchen hat die AMAG in Kooperation mit der Montanuniversität Leoben Forschungsprojekte gestartet, die sich mit der Thematik im Detail auseinandersetzen. Im Rahmen der Forschung werden sowohl Grundlagenversuche als auch industrienahe Experimente durchgeführt. Die aus dieser Zusammenarbeit gewonnenen Erkenntnisse stellten die Basis für die industriellen Versuche mit Wasserstoff als Energieträger im Jahr 2023 dar. Ein entscheidender Faktor für die Metallqualität ist der Wasserstoffgehalt der Schmelze. Aufgrund der hohen Reaktivität kann es bei Kontakt des flüssigen Aluminiums mit H2O unmittelbar zur Bildung von H2 kommen. Der entstehende Wasserstoff steht anschließend für eine potenzielle Absorption in die Schmelze zur Verfügung. Erhöhte Wasserdampfpartialdrücke p(H2O) gehen deshalb mit einem Anstieg des Wasserstoffpartialdruckes p(H2), der maßgebend für die theoretische Wasserstofflöslichkeit ist, einher. Abbildung 3 zeigt den Einfluss der Schmelzbadtemperatur und p(H2O) auf die Wasserstofflöslichkeit einer 5xxx-Legierung. Die Berechnungen wurden mit FactSage 8.1 durchgeführt. Ein Anstieg des theoretischen Wasserstoffgehaltes der Schmelze bei erhöhten Wasserdampfpartialdrücken im Ofen ist klar ersichtlich. Die steigenden Gleichgewichtsgehalte in Abbildung 3 veranschaulichen sehr deutlich den verstärkten Bedarf an Entgasungsaggregaten für die Wasserstoffentfernung. Bei bestimmten etablierten Prozessrouten und installierten Entgasungsgeräten kann sich dadurch eine unzureichende Entfernung des Wasserstoffes aus der Schmelze ergeben. Entgasungsaggregate sind meist auf die derzeitig vorherrschenden Wasserstoffgehalte dimensioniert. Bei den durchgeführten Industrieversuchen wurde dieses Thema aufgrund des hohen Einflusses auf die Metallqualität speziell beleuchtet. Die quantitative Bildung von Krätze ist von mehreren Faktoren abhängig. Neben dem verwendeten Schmelzaggregat ist auch der Anteil an organischen Verunreinigungen der Schrotte sowie die Form und Größe der zu erschmelzenden Rohstoffe ausschlaggebend. Zudem übt auch hier die Ofenatmosphäre einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Krätzebildung aus. Die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung zeigen grundsätzlich keinen Anstieg der Oxidation aufgrund erhöhter Wasserdampfgehalte [10]. Da es sich in den Laborversuchen um eine sogenannte ruhende Schmelze handelte, muss auch hier das reale Verhalten im industriellen Maßstab getrennt evaluiert werden, da erfahrungsgemäß die Badbewegung oder auch atmosphärische Turbulenzen der Gasbrenner einen wesentlichen Anteil zur Erhöhung der Krätzemenge beitragen können. Des Weiteren üben die Wasserstoffbrenner auch einen möglichen Einfluss auf die sich bildenden Emissionen aus. Neben den Pyrolyse-Emissionen ist vor allem die Bildung von NOX besonders zu berücksichtigen.

20231107-Wasserstoffversuche_Ofen_1
Abbildung 4: Drehkipptrommelofen im Betrieb mit Wasserstoff

AMAG bereitet sich ideal auf die Transformation mittels industrieller Versuche vor

Um die zuvor angeführten Fragen noch klarer beantworten zu können, wurden im Jahr 2023 industrielle Untersuchungen mit Wasserstoffbrennern an einem Drehkipptrommelofen und an einem Einkammer-Warmhalte­ofen durchgeführt. Abbildung 4 und 5 veranschaulichen die verwendeten Anlagen und die Gasversorgung mit Wasserstoff-Trailern (Abbildung 6). Dies ist derzeit der einzige Versorgungsweg für eine Wasserstoffversorgung in ausreichenden Mengen. Abhängig von der Heizleistung des Ofens beträgt der Wasserstoffbedarf für eine Charge, die innerhalb von sechs Stunden geschmolzen werden kann, sechs der abgebildeten Trailer (Abbildung 6) . Dies verdeutlicht sehr eindrucksvoll, dass eine Wasserstoffversorgung im industriellen Produktionsbetrieb nur mit einem geeigneten Pipeline-Netz möglich ist. Wenn die europäische und nationale Politik an den vorgegebenen Zeitplänen zur Erreichung der Klimaneutralität festhalten will, muss sie selbst zügig an Infrastruktur und Versorgung arbeiten.

20240603-2023_Wasserstoffversuche_Ofen
Abbildung 5: Einkammer-Warmhalteofen im Betrieb mit Wasserstoff

Bei den industriellen Untersuchungen wurde auf die Herstellungsroute von Guss- und Knetlegierungen eingegangen. Die Überprüfung der installierten Entgasungskapazität zeigte, dass der Anlagenpark der AMAG auch bei höheren Wasserstoffgehalten in der Schmelze in der Lage ist, Metall in einer konstant sehr hohen Schmelzequalität zu produzieren. Im Aufschmelzprozess wurde eine erhöhte Menge an gebildetem Aluminiumoxid festgestellt. Untersuchungen im Labormaßstab legen nahe, dass nicht der erhöhte Wasserdampfgehalt, sondern das Fehlen von CO2 zu einer erhöhten Oxidationsneigung der Schmelze in der veränderten Ofenatmosphäre führen kann [13, 14]. Obwohl keine signifikanten Auswirkungen auf die Metallqualität festgestellt wurden, stellt dies ein ökonomisches Thema in Bezug auf die Metallausbringung dar. Bezüglich der Veränderung der Prozess-Emissionen kann die Zunahme der NOX-Konzentration im trockenen Abgas bestätigt werden.Ob eine Reduktion in ausreichendem Maße durch Adaptierung von Brennersystemen erreicht werden kann und die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen weiter eingehalten werden können, muss in Zusammenarbeit mit den Herstellern von Brennersystemen evaluiert und diskutiert werden.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die gesetzlichen Emissions-Regulative (BAT/BVT) hinsichtlich der Verwendung von Wasserstoff als Energieträger angepasst werden müssen.

20240603-2023_Wasserstoffversuche_Trailer
Abbildung 6: Trailer mit Wasserstoff

Literaturverzeichnis:

[1]    Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions: The European Green Deal, Document 52019DC0640, https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:b828d165-1c22-11ea-8c1f-01aa75ed71a1.0021.02/DOC_1&format=PDF[2]    Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions: „Fit for 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU‑Klimaziels für 2030, Document 52021DC0550, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0550 [3]    Verordnung (EU) 2021/1119 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 2021 zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 401/2009 und (EU) 2018/1999 („Europäisches Klimagesetz“), Document 32021R1119, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32021R1119[4]    Richtlinie 2012/27/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Energieeffizienz, zur Änderung der Richtlinien 2009/125/EG und 2010/30/EU und zur Aufhebung der Richtlinien 2004/8/EG und 2006/32/EG, Document 32012L0027, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012L0027  [5]    Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (Text von Bedeutung für den EWR), Document 32003L0087, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003L0087 [6]    Regulation (EU) 2023/956 of the European Parliament and of the Council of 10 May 2023 establishing a carbon border adjustment mechanism (Text with EEA relevance), Document 32023R0956, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023R0956 [7]    Europäisches Parlament, Carbon Leakage: Unternehmen daran hindern, Emissionsvorschriften zu umgehen, 03-07-2023, https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20210303STO99110/carbon-leakage-unternehmen-daran-hindern-emissionsvorschriften-zu-umgehen [8]    Pfeifer H. et al.: Energieeffizienz und Minderung des CO2-Ausstoßes durch Sauerstoffverbrennung. Stahl und Eisen 129, 2009, 51–62.[9]    Kwaschny P. and H.-J. Meißner: Der Einsatz von Wasserstoff in Gießerein. Gießerei, 2021 (2021), 44–51.[10]     Tichy, S., Pucher, P., Prillhofer, B., Wibner, S., Antrekowitsch, H. (2023). Hydrogen Absorption of Aluminum-Magnesium Melts from Humid Atmospheres. In: Broek, S. (eds) Light Metals 2023. TMS 2023. The Minerals, Metals & Materials Series. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-031-22532-1_122[11]    Krone K.: Aluminiumrecycling. Vereinigung Deutscher Schmelzhütten, Düsseldorf (2000). [12]    Bateman W., G. Guest und R. Evans: Decoating of Aluminium Products and the Environment. In: Eckert, E. C. (Hg.): Light metals 1999. Proceedings of the technical sessions presented by the TMS Aluminium Committee at the 128th TMS annual meeting, San Diego, California, February28 - March 4, 1999. Warrendale, Pa.: Minerals Metals and Materials Society, 1099–1106. [13]    Tichy, S., Doppermann, S., Pucher, P., Prillhofer, B., Wibner, S., & Antrekowitsch, H. (2024). Influence of Water Vapor on the Oxidation Behavior of Molten Aluminum Magnesium Alloys. In Light Metals 2024 (pp. 890-896). Springer Nature Switzerland.[14]    Doppermann, S. (2023). Untersuchung des Oxidationsverhaltens von Aluminiumlegierungsschmelzen unter verschiedenen Atmosphären. Master's Thesis, Montanuniversitaet Leoben.

Zurück

Datenschutzinformation
Der datenschutzrechtliche Verantwortliche (AMAG Austria Metall AG , Österreich würde gerne mit folgenden Diensten Ihre personenbezogenen Daten verarbeiten. Zur Personalisierung können Technologien wie Cookies, LocalStorage usw. verwendet werden. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl: