Forschung und Entwicklung der amag
Interview mit Dr. Werner Fragner, Leiter Corporate Technology

AluReport: Herr Fragner, diese AluReport-Ausgabe legt den Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung bei Aluminium. Gibt es da noch etwas zu entwickeln, ist da nicht mehr oder weniger alles erforscht?
WF: Aluminium ist ein Schlüsselmaterial unserer modernen Welt – es steckt in Autos, Flugzeugen, Verpackungen, Gebäuden, Elektrogeräten und vielem mehr. Aber die Anforderungen an Aluminium steigen ständig: Es soll leichter und gleichzeitig fester sein, korrosionsbeständig, besser rezyklierbar, mit hohem Schrottanteil und umweltfreundlicher, aber es soll auch günstiger hergestellt werden. Kunden erwarten heute maßgeschneiderte Lösungen für immer spezifischere Anwendungen – etwa Batteriekästen für Elektroautos oder hochfeste und schadenstolerante Materialien für Flugzeuge. Selbst scheinbar einfache Produkte wie Verpackungsmaterialien erweisen sich bei näherer Betrachtung als unglaublich herausfordernd in ihren Anforderungen. Ohne Forschung könnten wir diese Entwicklungen nicht leisten und den Kundenwünschen nicht nachkommen. Aluminiumforschung hilft uns, neue Legierungen und Verarbeitungsmethoden zu verbessern und zu entwickeln, die Herstellung effizienter und nachhaltiger zu gestalten, Energie zu sparen und den CO₂-Fußabdruck zu senken. Gerade in Zeiten von Klimawandel, Ressourcenknappheit und globalem Wettbewerb sind Forschung und Entwicklung für die Weiterentwicklung von Aluminium wichtiger denn je.Bereits J.F. Kenedy war sich dessen bewusst, als er in seiner berühmten Rede zur Mondlandung „We chose to go to the moon“ [1] bereits meinte: “We chose to go to the moon … a giant rocket, … made of new metal alloys, some of which have not yet been invented…”. Unter diesen Anstrengungen wurden Aluminiumlegierungen entwickelt, welche doppelt so fest waren wie bisher. Seitdem konnte die Festigkeit von Aluminiumlegierungen noch einmal um 50 % gesteigert werden und AMAG spielt mit den eigens entwickelten CrossAlloys vorne mit.
AluReport: Was verspricht sich die AMAG von ihrer Ausrichtung auf Spitzenforschung?
WF: Ein zentraler Bereich für die AMAG ist F&E im Bereich Recycling von Aluminium: Im Vergleich zur Primärproduktion spart Recycling bis zu 95 % Energie. Das macht Sekundäraluminium zu einem wichtigen Hebel für Nachhaltigkeit.Allerdings bringt Recycling neue Herausforderungen mit sich. Während man bei Primäraluminium Legierungen durch gezielte Dosierung von Elementen exakt steuern kann, hängt die Zusammensetzung bei Schrottmaterial stark von den Ausgangsprodukten ab. Das muss bei der Herstellung berücksichtigt werden. Um hier trotzdem höchste Qualität zu gewährleisten, betreiben wir modernste Schrottsortieranlagen – mit röntgen- und laserbasierten Technologien, die selbst feinste Unterschiede in der Materialzusammensetzung erkennen und die Einsatzmaterialien entsprechend sortieren können. Diese Kompetenz ist die Basis dafür, den Schrottanteil in bestehenden Legierungen weiter zu erhöhen und gleichzeitig völlig neue Legierungskonzepte zu entwickeln. Forschung und Innovation sind für uns deshalb kein Selbstzweck, sondern ein klarer Schlüssel, um nachhaltige, hochwertige Produkte für die Zukunft zu schaffen.
AluReport: Wie entsteht ein Forschungsthema in der AMAG?
WF: Da sind zwei Schienen zu unterscheiden: zum einen sprechen wir regelmäßig mit Kunden und erfahren so, wie sich Megatrends konkret auf deren Produktanforderungen auswirken. Daraus erarbeiten wir den F&E-Bedarf für unser Material: Welche Anforderungen muss es künftig erfüllen und wie kann es hergestellt werden? Wenn wir das in Kooperation mit den Kunden umsetzen, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit und Umsetzung dieser zielgerichteten Innovationen deutlich höher.Ein anderes Thema sind langfristige fachliche Stoßrichtungen, die gemeinsam mit unseren wissenschaftlichen Partnern erarbeitet werden, um auch in Zukunft spannende Produkte entwickeln zu können. Ein Dauerbrenner beispielsweise ist die Verbesserung der Umformbarkeit von Aluminiumblechen und wie das Materialgefüge dafür aussehen muss. Gleich zwei Artikel in diesem Alureport widmen sich diesem Thema: beim Artikel zur Umformung von 6xxx-Automobilblechen werden die gegensätzlichen Materialanforderungen von Falzen und Tiefziehen beleuchtet und beim Beitrag zu unserem virtuellen Walzwerk wird die Umformsimulation unseres gesamten Walzprozesses vorgestellt.
AluReport: Das ist ein Stichwort: Die Simulation bildet den Produktionsprozess physikalisch digital ab, aber im AluReport gibt es noch zwei weitere Beiträge, die sich mit Digitalisierung im weiteren Sinn befassen?
WF: Stimmt. Um die Simulation mit konkreten Produktionsdaten aufwerten zu können, sammeln und speichern wir tausende Sensordaten je Anlage und Sekunde, um sie dann miteinander zu verknüpfen. Eine Simulation ist ja ein vereinfachtes physikalisches Modell, das nicht alle Einflussgrößen berücksichtigen kann, der echte Produktionsprozess ist natürlich deutlich komplexer: Die Kombination aus Simulation, Datensammlung und Analyse ermöglicht es uns, reale Produktionsprozesse besser zu verstehen, gezielt zu optimieren und neue Prozessfenster risikolos zu erproben. Durch den Abgleich und die Erweiterung von Simulationsmodellen mit realen Daten entsteht ein lernendes System, das kontinuierlich präziser wird und somit die Grundlage für vorausschauende Steuerung und stabile Qualität bei effizienter Fertigung bildet. Ein Beitrag beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die entstehen, wenn der Sensor für jeden Zeitpunkt einen Sensorwert ausgibt, wir dessen Position aber möglichst ohne Fehler genau und rückverfolgbar auf das Material zurückführen müssen. Das ist wiederum die Grundlage für eine exakte Datenanalyse, welche bereits beschrieben wurde [2-5].Dazu verwenden wir unterschiedlichste Methoden, und ja, maschinelles Lernen, KI auf Neudeutsch, kommt dazu ebenfalls zum Einsatz. Wir nutzen aber jene Analysemethoden, die am effektivsten und effizientesten für unsere Zweck sind. Digitalisierung und Datenanalyse sollen nicht einfach nur technische Hilfsmittel sein, sondern die Materialeigenschaften verbessern und die Produktentwicklungszyklen verkürzen helfen.
AluReport: Wie sieht es dann mit komplett neuen Entwicklungen aus? Gibt es das noch im Aluminiumbereich?
WF: Man darf nicht glauben, dass es im Aluminiumbereich nur mehr inkrementelle Verbesserungen und Weiterentwicklungen bestehender Produkte gibt.So hat die AMAG mit den CrossAlloys® eine neue Kategorie von Aluminiumlegierungen eröffnet, die einen komplett neuen Eigenschaftsmix mit sich bringt. Hier ist langfristige und auch grundlagenorientierte Forschung von größter Wichtigkeit und dazu braucht es unsere universitären Partner. Man muss bei neuen zu erschließenden Anwendungsgebieten meist bis in die Atomebene vordringen, um Materialeffekte zu beschreiben und verstehen zu können. Ein Beispiel in diesem AluReport ist die Resistenz einer unserer CrossAlloy®-Legierungen gegenüber der kosmischen Strahlung im Weltraum. Aluminium ist aufgrund verschiedener Eigenschaften dafür eigentlich nicht gut geeignet - unser neues Material schneidet allerdings hervorragend ab. Jetzt müssen wir verstehen, woran das liegt, und wie man diesen Effekt gezielt beeinflussen kann.
Ein weiterer Beitrag dieses Hefts beschäftigt sich mit Cluster-Härtung von AlMgSi-Blechen, einem fachlichen Feld, das bisher nur von einer Handvoll Wissenschaftlern weltweit bearbeitet und verstanden wird. Cluster sind einzelne Atomgruppen im Aluminium, welche die Chance bieten, sowohl hohe Festigkeit als auch hervorragende Umformeigenschaften zu erzielen - zwei Eigenschaften, die sich normalerweise diametral gegenüberstehen.Dazu braucht es genaue Analysemethoden, wie die Atom Probe Tomography, bei der einzelne Atome im Material ausgezählt werden. Die Erkenntnisse großtechnisch umzusetzen ist dann eine weitere spannende Aufgabe.
AluReport: Das klingt ja alles sehr toll, finden solche Grundlagenüberlegungen tatsächlich Eingang in die großindustrielle Produktion?
WF: Es kann Jahre dauern, bis ein Grundprinzip seinen Weg vom Labor zur Serienfertigung findet. Eine Methode, die schon weit gediehen ist, ist die Nutzung von Eigenfrequenzen zur E-Modulmessung, ein weiterer Artikel in diesem Heft. Während vor einem Jahrzehnt der E-Modul von Aluminium noch als fixe Größe gegolten hat, zeigt sich mit dieser Messmethode, dass er in gewissem Maße doch leichte Unterschiede abhängig vom Materialgefüge zeigt. Diese Unterschiede können aber in hochperformanten, schadenstoleranten Luftfahrtlegierungen durchaus eine Rolle spielen. Und je mehr wir uns mit dieser neuen Messmethode befassen, umso mehr Überraschungen erleben wir.
AluReport: Welche zum Beispiel?
WF: Das kann ich aktuell noch nicht sagen. Wir müssen uns das noch genauer anschauen, aber die Methode kann offenbar für mehr als nur für E-Modul-Messungen genutzt werden.
AluReport: Momentan ist das wirtschaftliche Umfeld besonders herausfordernd. Kann man sich da Forschung auf diesem Spitzenniveau überhaupt noch leisten?
WF: Natürlich scheint es einfach, F&E-Ausgaben zu reduzieren, um Kosten einzusparen. Kurzfristig sind auch keine negativen Folgen zu erkennen. Mittel- und langfristig jedoch büßt man unweigerlich Wettbewerbsfähigkeit ein. Angesichts unseres Produktionsstandortes in einem Land mit hohen Energie- und Arbeitskosten ist es wichtig, Produkte mit einem Eigenschaftsmix anzubieten, die nicht leicht nachzumachen sind und dies so effizient wie möglich.Dazu muss das Material und der Herstellprozess genauestens verstanden werden. Dies ist nur mit guter und zielgerichteter Forschung und Entwicklung durchführbar. Eine gute Forschungslandschaft ist dazu unabdingbar.Da ist auch die Politik gefordert: Ein nachhaltiger Ausbau der Forschungsförderung und die Stärkung bestehender, funktionierender Strukturen, wie etwa das FFG-Basisprogramm, die Comet-Projekte und die CD-Labore der Christian Doppler Forschungsgesellschaft ermöglichen Planbarkeit und Stabilität.
Nur so kann Forschung langfristig und nachhaltig betrieben und Österreich als Wirtschaftsstandort gesichert werden.
Quellen:
[1] John F. Kennedy: Rede: “We chose to go to the moon”, Rice University, Texas/USA,12. September 1962, Mondlandung am 20 Juli 1969[2] „Datenanalyse und Visualisierung der mechanischen Eigenschaften von Aluminiumbändern“, AluReport 2/2023, Seiten 20-23[3] Analyse von Produktionsdaten für das Stranggießen von Al-Walzbarren“, AluReport 2/2023, Seiten 24-27[4] Schreyer, Manuela & Gerber, Alexander & Neubert, Steffen. (2023). Data Analysis of Production Data for Continuous Casting of Aluminum Rolling Ingots. Key Engineering Materials. 968. 95-101. https://doi.org/10.4028/p-AsJ82o[5] Schreyer, M., Tschimpke, M., Gerber, A., Neubert, S., Trutschnig, W. (2024). Applied Statistics in Industry: Defining an Appropriate Target Variable and Analysing Factors Affecting Aluminium Ingot Quality. In: Ansari, J., et al. Combining, Modelling and Analyzing Imprecision, Randomness and Dependence. SMPS 2024. Advances in Intelligent Systems and Computing, vol 1458. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-031-65993-5_56