Aluminium Microstructure Analysis Gainhub

Strategische Kooperation mit der Montanuniversität Leoben

Aktuell befindet sich die Aluminiumwelt im Umbruch. Die Grenzen der bekannten Legierungen und ihrer Klassen werden erweitert, um einerseits die Leistungsfähigkeit zu steigern (Crossover-Konzept [1-4]) oder andererseits Legierungen mit hohen Recyclinganteilen zu realisieren [4-6]. Die Mikrostruktur ist dabei ein Schlüsselfaktor für die physikalischen oder auch chemischen Eigenschaften dieser Spezialprodukte. Nur ein grundlegendes Verständnis der Wechselwirkung der Aluminiummatrix mit gelösten chemischen Elementen, Primärphasen, Dispersoiden oder auch Aushärtungsphasen und deren Interaktion mit Versetzungen ermöglicht eine Optimierung der Herstellprozesse und finalen Eigenschaften.

Dr_Weissensteiner-1b
Bild: Dr. mont. Irmgard Weißensteiner, Lehrstuhl für Nichteisenmetallurgie, Leiterin des Aluminium Microstructure Analysis Gainhub (AMAG-Zentrum) an der Montanuniversität Leoben

Am Lehrstuhl für Nichteisenmetallurgie der Montanuniversität Leoben ist im letzten Jahrzehnt eine Forschungsgruppe von Weltrang entstanden. Dies geschah im Rahmen der Stiftungsprofessur für "Werkstofftechnik von Aluminium" (März 2015 bis Februar 2022) und mehreren gemeinsamen Forschungsprojekten, wie beispielsweise dem "Christian-Doppler-Labor für fortgeschrittene Aluminium-Legierungen".

Seit März 2022 garantiert die AMAG gemeinsam mit der B&C Privatstiftung eine weitere Stärkung der Forschungsexzellenz im Rahmen der Kooperation "Aluminium Microstructure Analysis Gainhub"  (in der Folge AMAG-Zentrum genannt). Dadurch kann die bestehende Kooperation langfristig gesichert und weiter intensiviert werden. Durch die strategisch angelegte Förderung über sieben Jahre ist es möglich, den Vorsprung der österreichischen Forschung im Aluminiumbereich infrastrukturell, aber vor allem über die Weiterentwicklung von WissenschaftlerInnen noch weiter auszubauen. Der wissenschaftliche Fokus des “Gainhubs“ liegt auf der methodenübergreifenden Bündelung von Mikrostrukturkompetenz, als wesentliche Voraussetzung für Werkstoff- und Prozessinnovationen mit Hinblick auf Kreislaufwirtschaft und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der AMAG.Das AMAG-Zentrum ermöglicht hochqualifizierten jungen WissenschaftlerInnen die Nutzung modernster Geräte, wie z.B. hochauflösender Elektronenmikroskope oder Technikumseinrichtungen, um die Charakterisierungsmethoden an aktuelle Fragestellungen der Aluminiumforschung anzupassen und gleichzeitig die eigene aluminiumspezifische Mikrostrukturexpertise auszubauen. Auf internationalen Konferenzen, aber auch in speziellen Workshops und Weiterbildungsveranstaltungen wird den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen die Möglichkeit geboten, sich und ihre Fähigkeiten aber auch die in Leoben angewandten Analysemethoden ständig weiterzuentwickeln. Dr. Irmgard Weißensteiner ist seit 2018 in der Arbeitsgruppe von Prof. Pogatscher als PostDoc beschäftigt. Schon bei ihrem Einstieg hat sie neben ihrem materialwissenschaftlichen Hintergrund eine hervorragende Expertise zur Elektronenrückstreubeugung, Mikrostruktur- und Texturcharakterisierung mitgebracht. Seither hat Frau Dr. Weißensteiner diese Expertiese konsequent um methodische, vor allem aber um spezifische Aspekte zum Werkstoff Aluminium stetig weiterentwickelt, bei Dissertationen und Kooperationsprojekten eingebracht und leitet und koordiniert mittlerweile das AMAG-Zentrum. Thematisch liegt der Fokus des AMAG-Zentrums, wie in Abbildung 1 dargestellt, auf der Analyse der Mikrostrukturen unterschiedlicher Al-Legierungen mittels hochmoderner Elektronenmikroskopie und Atomsondentomographie, um deren Eigenschaften grundlegend zu verstehen und zu steuern.

Abbildung_1_DE_1
Abbildung 1:Rasterelektronenmikroskopie, Transmissionselektronenmikroskopie und Atomsondentomographie bilden die Kernelemente des Aluminium Microstructure Analysis Gainhub, begleitet von Materialsynthese, Probenvorbereitung und mechanischer und chemischer Charakterisierung

Besonders dabei ist, dass mit den vorhandenen Analysemöglichkeiten, aber vor allem der dauerhaft vorhandenen Expertise der ForscherInnen im AMAG-Zentrum mikrostrukturelle Merkmale in Aluminium von mehreren Millimetern bis zu atomarer Auflösung charakterisiert werden können. Im Rasterelektronenmikroskop (REM) kann einerseits die Mikrostruktur über „große“ Flächen von mehreren mm2 untersucht werden, andererseits können aber auch hochaufgelöste Bilder von feinen Sekundärphasen oder auch Defekten nach z.B. mechanischer Prüfung aufgenommen werden. Sekundär- und Rückstreuelektronendetektoren (SE, BSE) ermöglichen dabei die Einstellung optimaler Kontraste von Topografie, chemischer Zusammensetzung oder Orientierungen. Energiedispersive Röntgenspektroskopie (EDX) zur chemischen Analyse und Rückstreuelektronenbeugung (EBSD) zur Bestimmung der Kristallorientierung werden zur quantitativen Analyse von Mikrostrukturkomponenten eingesetzt, die über den Flächenanteil oder die Korngröße hinausgehen.Die Textur (Gesamtheit der kristallographischen Orientierungen) kann beispielsweise als Hinweis auf Verformungs- oder Rekristallisationsvorgänge während des Herstellungsprozesses, aber auch zur Abschätzung bestimmter mechanischer Eigenschaften verwendet werden [3,4,6,7]. In mechanisch getesteten oder fertig umgeformten Proben können neben den morphologischen Daten auch lokale Orientierungsgradienten an z. B. Korngrenzen oder Grenzflächen zu intermetallischen (Primärphasen-) Partikeln mit den mechanischen Eigenschaften korreliert und so die Verformungsmechanismen eruiert werden [5]. In Abbildung 2 sind dazu beispielhaft die Möglichkeiten zur Strukturanalyse mit EBSD anhand der Außenkante einer gebogenen Al-Mg-Legierung mit erhöhtem Eisengehalt gezeigt. Das zur Verfügung stehende Rasterelektronenmikroskop mit Feldemissionsquelle und die angeschlossenen EBSD- und EDX-Detektoren sind technologisch im Spitzenfeld angesiedelt und ermöglichen eine hohe Messgeschwindigkeit und Signalausbeute. So sind einerseits effiziente, großflächige und somit statistisch abgesicherte Analysen, zum anderen aber auch hohe Detailauflösung feiner Strukturen möglich.

a_Gesamt_klein
Abbildung 2: Beispiele für Analysen durchgeführt im Rahmen des “AMAG“: Außenkante einer gebogenen Al-Mg-Legierung mit erhöhtem Eisengehalt, Darstellungen aus den chemischen (EDX) und Orientierungsinformationen (EBSD); Bandkontrast, Bandkontrast+Fe-Gehalt, lokale Missorientierungen, Orientierungen durch Farbcodierung entsprechend der inversen Polfigurr, lokale Schmidfaktoren für Biegebelastung, Korngrenzen

Sind die zu untersuchenden mikrostrukturellen Merkmale kleiner als ~20-50 nm (Aushärtungsphasen, Dispersoide, nanokristalline Werkstoffe, einzelne Versetzungen) reicht das Auflösungsvermögen des Rasterelektronenmikroskops nicht mehr aus und es wird das Transmissionselektronenmikroskop (TEM) eingesetzt. Dabei kann atomare Auflösung erreicht werden. Die Kombination aus hochauflösender Bildgebung und extrem schneller chemischer Analyse ermöglicht effiziente detaillierte 2D-Analysen (Abbildung 3: TEM-Aufnahme und chemische Analyse feinster, schalenartig aufgebauter Partikel in einer ternären Al-Zr-Sc-Legierung [8]). Durch Kippung des Probenhalters ist zudem eine automatisierte 3D-Tomographie sowohl mittels Raster-TEM als auch EDX möglich. So kann z.B. die dreidimensionale Morphologie von Ausscheidungen bestimmt und ein Zusammenhang zwischen heterogenen Keimbildungsstellen (z.B. Korngrenzen, Dispersoide etc.) und der Verteilung der Ausscheidungen hergestellt werden.Die dreidimensionale Struktur sehr feiner Mikrostrukturmerkmale wie härtewirksame Ausscheidungen oder einzelne Korngrenzen eines Materials können mit Atomsondentomographie (APT) auf Nanometerskala charakterisiert werden. Dabei wird auf eine nadelförmige Probe (Durchmesser < 50 nm) ein großes elektrisches Feld aufgebracht, dadurch werden einzelne Atome durch Feldverdampfung nacheinander herausgelöst. Die Herkunft der Ionen wird mit einem zweidimensionalen, positionsempfindlichen Detektor gemessen und die chemische Identifikation erfolgt mittels Flugzeitmassenspektrometrie. Aus diesen Daten kann dann ein 3D-Modell der Probe rekonstruiert werden. Die Vorteile gegenüber anderen Analysetechniken liegen in den dreidimensionalen Daten, der hohen Empfindlichkeit für leichte Elemente und der geringen Probengröße. So war es möglich, die durch plastische Verformung induzierte Clusterbildung nachzuweisen (siehe Abbildung 4) [9].

Die so erfolgreiche Etablierung der Aluminiumforschung in Leoben beruht auf mehreren Komponenten:

  • (i) Analysegeräte auf dem neuesten Stand der Technik. Sie sind eine wichtige Basis, ohne die effiziente und genaue Analysen auf Weltspitzenniveau nicht möglich sind; das AMAG-Zentrum ermöglicht mehreren hervorragenden WissenschaftlerInnen auf PostDoc-Ebene die aluminiumspezifische Ausnutzung dieser Geräte.
  • (ii) Hochauflösende Bildgebung oder 3D-Analysen erfordern eine effiziente, materialspezifische und vor allem artefaktfreie Probenpräparation. In den letzten Jahren wurden effiziente Präparationsroutinen für metallographische Standardverfahren etabliert und für besonders herausfordernde Proben spezielle Methoden entwickelt.
  • (iii) OperatorInnen mit tiefgehendem physikalischem Grundwissen zu den einzelnen Messmethoden, genauer Kenntnis sowie Erfahrung mit den Messgeräten und der zugehörigen Datenauswertung ermöglichen qualitativ hochwertige Aufnahmen und quantitative Analysen. Aber erst die Kombination mit aluminiumspezifisch metallkundlichem und prozesstechnischem Wissen bietet Forschung im internationalen Spitzenfeld eine solide Grundlage. Eine solche Ausrichtung erfordert die längerfristige fachliche, aber auch persönliche Entwicklung von WissenschaftlerInnen, was durch das AMAG-Zentrum stark unterstützt wird. Als Beispiel dafür ist zu erwähnen, dass Frau Dr. Weißensteiner als nächsten Schritt in ihrer wissenschaftlichen Laufbahn plant, im Themenbereich des AMAG-Zentrums ihre Habilitation einzureichen.
Abbildung_3_DE_1
Abbildung 4:Querschnitte aus APT-Analysen vor (links) und nach 5 % plastischer Verformung (rechts) einer 6xxx-Legierung [9]

Um auch in Zukunft eine enge Zusammenarbeit der AMAG und der Montanuniversität Leoben sicherzustellen, ist von Frau Dr. Weißensteiner gemeinsam mit der AMAG ein Antrag für ein Großforschungsprojekt in Vorbereitung. Dabei ist geplant, grundlegenden Fragen zur Verformung in nachhaltigen Aluminiumlegierungen nachzugehen und Methoden zur Mikrostrukturuntersuchung zu verbessern. Da zwischen REM und TEM messtechnisch noch eine Lücke zu schließen ist, wird in diesem Rahmen auch die Implementierung der „Scanning Precession Electron Diffraction“ (SPED) angestrebt. Diese Methode ermöglicht im TEM die Aufnahme eines nahezu vollständigen Beugungsbildes für jeden Datenpunkt eines Bildrasters.Daraus kann für jeden Datenpunkt über die kristallographische Information sowohl die Phase als auch die Orientierung mit einer Auflösung im Bereich weniger Nanometer bestimmt werden. Die vorgestellten Methoden sollen von allen Beteiligten angewendet und weiterentwickelt werden, z.B. durch die Implementierung von künstlicher Intelligenz zur Datenauswertung.

Erkenntnisse, die aktuell im AMAG-Zentrum und in künftigen Kooperationsprojekten durch die Kombination modernster, komplementär genutzter ­Mikrostrukturanalysemethoden und exzellente, auf Aluminium spezialisierte WissenschaftlerInnen gewonnen werden, haben großes Potential, einen internationalen Wissensvorsprung zu generieren und so zur Sicherung des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts der Aluminiumindustrie in Österreich beizutragen.

Literaturverzeichnis:

[1]    L. Stemper, M. A. Tunes, R. Tosone, P. J. Uggowitzer, and S. Pogatscher, Prog. Mater. Sci. 124, 100873 (2022).[2]    L. Stemper, M. A. Tunes, P. Dumitraschkewitz, F. Mendez-Martin, R. Tosone, D. Marchand, W. A. Curtin, P. J. Uggowitzer, and S. Pogatscher, Acta Mater. 206, 116617 (2021)[3]    S. Samberger, I. Weißensteiner, L. Stemper, C. Kainz, P. J. Uggowitzer, and S. Pogatscher, Acta Mater. 253, 118952 (2023)[4]    B. Trink, I. Weißensteiner, P. J. Uggowitzer, K. Strobel, A. Hofer-Roblyek, and S. Pogatscher, Acta Mater. 257, 119160 (2023)[5]    B. Trink, I. Weißensteiner, P. J. Uggowitzer, K. Strobel, and S. Pogatscher, Scr. Mater. 215, 114701 (2022)[6]    P. Krall, I. Weißensteiner, and S. Pogatscher, (SSRN, 2023)[7]    E. Cantergiani, I. Weißensteiner, J. Grasserbauer, G. Falkinger, S. Pogatscher, and F. Roters, Metall. Mater. Trans. A 54, 75 (2023)[8]    F. Schmid, D. Gehringer, T. Kremmer, L. Cattini, P. J. Uggowitzer, D. Holec, and S. Pogatscher, Materialia 21, 101321 (2022)[9]    P. Aster, P. Dumitraschkewitz, P. J. Uggowitzer, F. Schmid, G. Falkinger, K. Strobel, P. Kutlesa, M. Tkadletz, and S. Pogatscher, Materialia, 101964 (2023)

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 6 plus 3.
Datenschutzinformation
Der datenschutzrechtliche Verantwortliche (AMAG Austria Metall AG , Österreich würde gerne mit folgenden Diensten Ihre personenbezogenen Daten verarbeiten. Zur Personalisierung können Technologien wie Cookies, LocalStorage usw. verwendet werden. Dies ist für die Nutzung der Website nicht notwendig, ermöglicht aber eine noch engere Interaktion mit Ihnen. Falls gewünscht, treffen Sie bitte eine Auswahl: