Forschung quo vadis?
Interview mit Univ.-Prof. Dr. mont. Helmut Antrekowitsch, dem neuen Vizerektor für Forschung an der Montanuniversität Leoben (MUL)
AluReport: Herr Prof. Antrekowitsch, als Vizerektor werden Sie für Forschung und Nachhaltigkeit zuständig sein. Sehen Sie zusätzliches Potenzial für die Kooperation zwischen AMAG und der Montanuniversität?
HA: Die AMAG und die MUL können jetzt schon auf eine jahrelange erfolgreiche Kooperation zurückblicken. Hierbei ist nicht nur auf eine große Anzahl von abgeschlossenen Dissertationsprojekten zu verweisen, sondern neben einer Stiftungsprofessur sowie einem CD-Labor konnte auch eine weltweit sichtbare Forschungskompetenz auf dem Gebiet der Aluminiumwerkstoffe gemeinsam aufgebaut werden. Gleichzeitig haben sich die Anforderungen betreffend Forschung sowie Nachhaltigkeit sowohl an die AMAG als auch an die MUL deutlich erhöht, wobei beide einen nachhaltigen Veränderungsprozess vollzogen haben. Obwohl sich die Universität in Leoben bereits seit ihrem Bestehen mit nachhaltigen Themen beschäftigt hat, sind diese Aktivitäten in den letzten drei Jahrzehnten deutlich intensiviert worden. Im Besonderen haben die Themen Werkstoffdesign, Recycling, Kreislaufwirtschaft, Energietechnik, sekundäre Reststoffe und Ressourcen insgesamt an Bedeutung zugenommen. In Leoben beschäftigt sich nunmehr praktisch jede Studienrichtung mit Nachhaltigkeit. Seit zehn Jahren gibt es das Studium Recyclingtechnik und seit 2022 Klima- und Umweltschutztechnik.Für eine bessere internationale Sichtbarkeit fand darüber hinaus die Implementierung der zwei englischsprachigen Studienrichtungen „Responsible Consumption and Production“ sowie „Circular Engineering“ statt. Auch die im Jahr 2022 verabschiedete Strategie der Montanuniversität 2030+ beinhaltet im Wesentlichen die Schwerpunkte Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit, Ressourcensicherheit, Recyclingtechnik, Klimaneutralität und recyclinggerechtes Werkstoffdesign. Und damit schließt sich wieder der Kreis zur AMAG, welche in den letzten Jahren enorme Anstrengungen auf dem Gebiet der nachhaltigen Produktion, der Werkstoffentwicklung und des Recyclings unternommen hat. All diese Bemühungen wären ohne hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwierig umsetzbar und das ist die nächste Erfolgsgeschichte zwischen der AMAG und der Montanuniversität. Mittlerweile sind in vielen Bereichen der AMAG Absolventinnen und Absolventen aus Leoben tätig und unterstützen den Erfolgskurs des Unternehmens. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, genau in den Themengebieten recyclinggerechte Werkstoffentwicklung, Optimierung von Recyclingprozessen, klimaneutrale Produktion (Wasserstoff und Strom), Kooperation in der Lehre und hochqualifiziertes Personal sehe ich auch zukünftig ein hohes Potenzial.
AluReport: Gibt es Ihrer Ansicht nach Bereiche und Maßnahmen, die stärker forciert werden sollten und was wird sich an der Montanuniversität verändern?
HA: Als besonders wesentlich würde ich das recyclinggerechte Werkstoffdesign und die Veränderung der gesamten Produktion sowie des Aluminiumwerkstoffkreislaufes in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität sehen. Nicht nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die Verantwortung, welche jedes Unternehmen und jede Universität gegenüber den Menschen hat, fordert dieses Handeln. Diesbezüglich darf ich zwei Beispiele anführen, welche auch zukünftig noch weiter vorangetrieben werden. Einerseits die Entwicklung von Crossover-Legierungen, die sowohl ein neuartiges Eigenschaftsprofil zeigen, als auch eine Lösung für das Recycling von Al-Werkstoffen darstellen könnten, und andererseits der Einsatz von Wasserstoff als Ersatz von fossilen Energieträgern. In diesem Zusammenhang darf ich auch erwähnen, dass die Montanuniversität vor zwei Jahren einen Wasserstoff-Kohlenstoff-Cluster errichtet hat, in dem bereits 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Gewinnung und dem Einsatz von Wasserstoff sowie der nachhaltigen Nutzung des Kohlenstoffs, welcher im Rahmen der Wasserstofferzeugung anfällt, arbeiten. Hierbei erfolgt zum einen eine verstärkte Vernetzung der Forschungsvorhaben untereinander und zum anderen eine verbesserte Umsetzung der Erkenntnisse im Bereich der forschungsgeleiteten Lehre. Zusätzlich haben und werden wir die internationalen Aktivitäten intensivieren, wobei in diesem Zusammenhang nicht nur die bereits erfolgreiche Beantragung und Führung einer European University „Eureca-Pro“ mit sieben europäischen Partneruniversitäten, der verstärkte Austausch von Studierenden im Rahmen der Erasmusprogramme, sondern auch die Erweiterung der international ausgerichteten Studienprogramme zu nennen sind.
AluReport: In der öffentlichen Wahrnehmung stellt sich allerdings die Frage, ob nachhaltiges Handeln und die Erzeugung von Metallen nicht zwei vollkommen unterschiedliche Themengebiete sind? Was ist Ihre Ansicht dazu?
HA: Diesbezüglich ist eine differenzierte Sichtweise notwendig! Es gibt keine Produkte, welche nicht entweder aus Metallen bestehen oder mit Hilfe von Metallen hergestellt werden. Metalle spielen bei Kreislaufwirtschaft, Energietransformation, Klima- und Umweltschutz eine entscheidende Rolle. Denken wir nur an Abgas- und Abwasseranlagen, Recyclingaggregate, Photovoltaik, Windräder, Geothermie, Elektromobilität, Stromtransport, Wasserkraftwerke usw. Aluminium ist beispielsweise in vielen dieser erwähnten Anwendungen und Bereiche aufgrund des Leichtbaus, der Korrosionsbeständigkeit, des guten Umformverhaltens, der ausgezeichneten mechanischen Eigenschaften sowie der Recyclingfähigkeit nicht mehr wegzudenken. Fazit ist, ohne Metalle auch keine nachhaltige Zukunft! Gleichzeitig muss allerdings dem Rechnung getragen werden, dass bei der Produktion dieser Metalle viel Energie benötigt wird und teilweise große Emissionen und Rückstände entstehen. Mit innovativen Prozesstechnologien, dem Recycling, einem recyclinggerechten Werkstoffdesign und dem Verzicht auf fossile Energieträger kann die Metallproduktion jedoch während der Erzeugung deutlich nachhaltiger werden. Hier gilt es anzusetzen und wir tun das gemeinsam.
AluReport: Was wünschen Sie sich bezüglich der Forschung und Nachhaltigkeit von Industrie, Politik und Gesellschaft?
HA: Auch bei dieser Frage ist eine differenzierte Betrachtungsweise notwendig! Während ein großer Teil der Industrie im Bereich des Klimawandels und der Energietransformation sowie beim nachhaltigen Denken und Handeln einen entscheidenden (und manchmal auch sehr kostenintensiven) Beitrag leistet, verharren viele politische Akteure noch in der Vergangenheit. Es ist jedoch gerade die Politik gefordert, realistische Ziele zu setzen und geeignete Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen und nicht in Scheindebatten, Stichwort „Bargeld in die Verfassung“ usw., die Zukunft dieses Landes zu verspielen. Gleichzeitig ist es auch die Aufgabe der Politik, im Bereich der Bildung und Forschung diese entscheidenden Themen, wie Klima, Kreislaufwirtschaft, Energietransformation, Einsatz von KI usw., verstärkt im Bereich der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowie durch hochdotierte kompetitive Forschungsprogramme in Verbindung mit deutlich weniger Bürokratie zu unterstützen. Gerade die Bürokratie ist bei uns in Österreich überdurchschnittlich ausgeprägt. Wesentlich wäre allerdings, dass Wirtschaft, Politik und Gesellschaft an einem Strang ziehen. Diesbezüglich gibt es bereits ein sehr erfolgreiches Beispiel. Anfang der 1990er Jahre hat sich bei der gezielten Einführung der Abfallwirtschaft gezeigt, dass es zum Erfolg führt, wenn alle ein gemeinsames Ziel verfolgen. Damals wurde in der gesamten Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik, in Kindergärten, an Schulen und Universitäten sowie im gesamten Medienbereich diese Thematik vorangetrieben. Den Erfolg kann jeder von uns bewundern, wenn er durch unser schönes Land fährt. Vergleichbares müsste ebenfalls im Bereich der nachhaltigen Entwicklung passieren, welche den Klima- und Umweltschutz, die Energietransformation sowie die Veränderungen aufgrund der Digitalisierung einschließt.
AluReport: Sie haben die Medien insgesamt angesprochen, wie wichtig sind diese für die notwendige Transformation?
HA: Die Medien besitzen eine ganz entscheidende Rolle. Sie beeinflussen ganz massiv die Meinung und Wahrnehmung der Menschen und dies hat wiederum Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und die gesamte Bildungslandschaft. Die hohe Wissenschaftsfeindlichkeit, welche in einem aufgeklärten Land wie Österreich eigentlich der Vergangenheit angehören sollte, könnte zukünftig die Entwicklung des Landes deutlich beeinträchtigen. Wenn selbst Politiker stolz sind, eine gewisse Wissenschaftsskepsis an den Tag zu legen, dann müssten alle Alarmglocken läuten. Daher ist es für eine erfolgreiche Transformation in eine nachhaltige Zukunft besonders entscheidend, dass die Medien Verantwortung über- und die Chancen und Potenziale für Österreich, für die Wirtschaft und vor allem für unsere junge Generation wahrnehmen.
AluReport: Im AluReport 01/2021 hat COO Helmut Kaufmann kritisiert, dass unter dem Begriff „Durchlässigkeit“ für die Studierenden einfache Abkürzungen möglich werden, sogar Doktortitel billig erworben werden können, dabei aber die Ausbildungsqualität leidet. Wie sehen Sie das?
HA: Grundsätzlich ist eine verbesserte Durchlässigkeit zu unterstützen, allerdings nur bei gleichbleibender Qualität der Ausbildung. Die zukünftigen Herausforderungen verlangen hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, womit klar ist, dass die notwendige forschungsgeleitete Lehre keine qualitativen Abstriche erlaubt. Ganz im Gegenteil, die Kompetenzen müssen entsprechend ausgebaut werden, denn ansonsten verlieren Österreich und Europa vor allem im Bereich der Universitäten den Anschluss an die weltweite Elite. Das in Österreich geliebte Mittelmaß ist hier nicht gefragt! Dafür ist es aber auch entscheidend, dass nicht nur über die Wichtigkeit einer hochwertigen Ausbildung gesprochen, sondern gehandelt und eine hochwertige Ausbildung auch monetär ermöglicht wird. Reden alleine ist zu wenig, Tun wäre wichtig! Sonst werden wir in den nächsten Jahren einen weiteren Rückgang bei Studierenden in technisch-naturwissenschaftlichen Studienrichtungen sehen, die aber in der Wirtschaft dringend notwendig sind.