IST NACHHALTIGKEIT MESSBAR?
Interview mit CFO Mag.a Claudia Trampitsch
AluReport: Frau Trampitsch, das Thema Nachhaltigkeit ist heutzutage allgegenwärtig. Wie misst man eigentlich die Nachhaltigkeit eines Unternehmens?
CT: Nachhaltigkeit ist tatsächlich ein weites Spektrum. Der Begriff wird oft nur mit Umweltfreundlichkeit gleichgesetzt, dies ist zu kurz gegriffen. Ein Unternehmen ist dann nachhaltig, wenn es langfristig erfolgreich wirtschaftet und dabei so wenig Ressourcen wie möglich beansprucht - in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Es ist somit ein viel holistischerer Blick nötig. Diese Ganzheitlichkeit macht die Messung auch so komplex, denn es gibt nicht die eine Kennzahl, die Nachhaltigkeit vollständig abbilden kann.
AluReport: Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD - Corporate Sustainability Reporting Directive) wird bald verpflichtend. Was genau steckt dahinter?
CT: Mit dem Green Deal strebt die EU an, bis 2050 klimaneutral zu sein und fördert somit letztlich nachhaltiges Wirtschaften. Dazu gehören beispielsweise auch Vorgaben für Banken, ihr Kapital in nachhaltige Finanzierungen zu lenken, also Unternehmen zu unterstützen, die nachhaltig arbeiten. Dafür sind festgelegte Kriterien notwendig. Die CSRD dient nun dazu, die Berichtspflicht der Nachhaltigkeitsaspekte zu definieren und ein Rahmenwerk vorzugeben. Das soll die Transparenz hinsichtlich der Auswirkungen der Unternehmen auf die Umwelt erhöhen und auch eine entsprechende Vergleichbarkeit ermöglichen. Zusätzlich wurde in eigenen Standards (European Sustainability Reporting Standards, ESRS) genau definiert, was zu berichten ist. Dies führt jedoch zu einem äußerst umfangreichen Berichtskatalog, da unterschiedliche Branchen unterschiedliche Schwerpunkte haben.
AluReport: Schätzen Sie, dass sich durch die CSRD die Vergleichbarkeit der Berichte tatsächlich verbessern wird und die Nachhaltigkeitsberichterstattung wirklich auf eine Ebene mit der Finanzberichterstattung gehoben wird?
CT: Die Idee, Nachhaltigkeitsberichterstattung auf eine Ebene mit der Finanzberichterstattung zu heben, ist gut. Doch die Vergleichbarkeit ist schwierig, eben gerade wegen der bereits angesprochenen unterschiedlichen Geschäftstätigkeiten. Es wird oft lediglich eine Kennzahl herangezogen, die gut zu messen ist und daher fälschlicherweise den Eindruck erweckt, sie sei auch gut vergleichbar, wie z.B. CO2-Emissionen. Hier beginnt meines Erachtens aber schon die Schwierigkeit, da diese Vereinfachung, die in der Reduzierung auf nur ein paar wenige Kennzahlen liegt, die Komplexität von Unternehmen nicht richtig abbildet. Ein Produktionsunternehmen emittiert naturgemäß mehr CO2 als ein Dienstleister, bei anderen Unternehmen ist die Verunreinigung des Abwassers ein relevanteres Thema. Soziale und qualitative Aspekte lassen sich noch schwieriger vergleichen. Die Aufwertung der Nachhaltigkeitsberichterstattung führt meiner Meinung nach aber jedenfalls zu einer Qualitätsverbesserung bei den ermittelten und berichteten Zahlen, da diese nicht mehr nur rein intern verwendet werden, sondern aufgrund ihrer nunmehr öffentlichen Verfügbarkeit belastbar sein müssen. Dies gilt vor allem dann, wenn die bereitgestellten Informationen den Stakeholdern als Grundlage für Entscheidungen dienen, etwa, wenn Aluminium mit einem bestimmten Schrottanteil versehen sein soll.
AluReport: Die AMAG hat bereits lange vor der gesetzlichen Pflicht Nachhaltigkeitsberichte erstellt. Wie können Sie von dieser Erfahrung bei der Umsetzung der CSRD profitieren?
CT: Nachhaltigkeit ist seit Jahren Teil unserer Unternehmensstrategie. Wir haben früh begonnen, über unsere strategischen, nachhaltigen Ansätze (z.B. im Zusammenhang mit Recycling) zu berichten und viel internes Wissen aufgebaut. Dieses Know-how, gepaart mit etabliertem Prozesswissen aus der Finanzberichterstattung und in Verbindung mit einem entsprechenden internen Kontrollsystem, hat uns nun bei der Umsetzung der CSRD geholfen. Nichtsdestotrotz ist dieser zusätzliche Umfang an Berichtspflichten sehr herausfordernd, da es nicht nur darum geht, die Zahlen zu erheben, sondern auch die Qualität des Berichts sicherzustellen. Wir möchten nämlich nach wie vor die Leser darüber, was wir tun, bestmöglich informieren.
AluReport: Das klingt nach einer enormen Aufgabe. Welche Ressourcen benötigt die AMAG, um das zu stemmen?
CT: Wir haben den Anspruch, das Wissen im Unternehmen selbst aufzubauen, statt externe Berater hinzuzuziehen. So bleiben wir flexibel und können auf neue Anforderungen schnell reagieren. Ein so wesentliches Thema, wie die externe Information von Stakeholdern, kann man nicht outsourcen. Wichtig ist auch, dass unsere Mitarbeiter durch schlanke Prozesse entlastet werden. Daher haben wir existierende Strukturen genutzt und unsere Berichterstattung in bereits vorhandene Systeme integriert, was uns Fehleranfälligkeit und zusätzliche Schnittstellen erspart.
AluReport: Wie schaffen Sie es, dass Ihre Berichte nicht nur den rechtlichen Anforderungen entsprechen, sondern auch für Stakeholder - insbesondere Investoren - relevant und lesbar bleiben?
CT: Wir haben den hohen qualitativen Maßstab, den wir bei der Finanzberichterstattung anwenden, auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung übertragen. Die größte Herausforderung besteht darin, Berichte trotz der großen Menge an verpflichtenden Informationen lesbar und verständlich zu gestalten. Unser letztjähriger Konzernabschluss umfasste 230 Seiten, einschließlich 90 Seiten für den nicht-finanziellen Bericht. Ein solcher Umfang erschwert es Lesern, den Überblick zu behalten. Betrachtet man die Entwicklung der Berichtspflichten, scheint das Ziel aber ohnehin weniger ein lesbares Gesamtwerk als eine Sammlung von relevanten Informationen zu sein, aus der jeder Leser nur die für ihn relevanten Zahlen entnimmt. In der Finanzberichterstattung ist für gewisse Teile ein maschinenlesbares Format erforderlich, dies wird demnächst auch für die Nachhaltigkeitsberichterstattung gelten.Die Fülle an Information führt aber auch dazu, dass viele Stakeholder, wie Banken und Lieferanten, spezielle, maßgeschneiderte Berichte anfordern, was zusätzlichen Aufwand verursacht. Dabei müssen wir sicherstellen, dass die Daten überall konsistent und korrekt sind, um die gewohnt hohe Qualität der Berichterstattung zu gewährleisten.
AluReport: Das klingt verdächtig nach einem Bürokratiemonster. Hand aufs Herz, ist der Standort Europa angesichts dieser Berichtspflichten Segen oder Fluch?
CT: Ich bin der Meinung, dass die grundsätzliche Idee eine gute ist. Es wurde jedoch viel zu viel auf einmal gewollt. Eine langsamere Weiterentwicklung und eine gezieltere Kriterienauswahl wären wünschenswert gewesen. Eine weitere Komplexität besteht darin, dass die Umsetzung der neuen EU-Regelungen auf nationaler Ebene in Österreich bis dato nicht erfolgt ist, obwohl laut Richtlinie bereits über das Geschäftsjahr 2024 zu berichten ist.Dazu kommt, dass diese Anforderungen nur die EU betreffen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bei der kanadischen Elektrolyse, an der wir beteiligt sind, sind wir fünf Eigentümer. Unsere Miteigentümer kommen aus Kanada, Japan und Norwegen. Ich versichere Ihnen, der Detaillierungsgrad, der von uns in der Berichterstattung verlangt wird, sucht seinesgleichen. Das gilt aber nicht nur für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, sondern auch für Themen wie die EU-Taxonomie, das Lieferkettengesetz oder die CO2-Besteuerung. Damit entstehen bei uns Mehrkosten, die in anderen hoch entwickelten Ländern nicht anfallen.
AluReport: Wenn wir einen Blick in die Zukunft werfen, was würden Sie sich für die Nachhaltigkeitsberichterstattung wünschen?
CT: Eine der Kernaufgaben der externen Berichterstattung ist es, den Stakeholdern Informationen zum Unternehmen zu geben, damit diese fundierte Entscheidungen treffen können - wie zu finanzieren, Aktien zu erwerben, eine Geschäftsbeziehung einzugehen, diese beizubehalten etc. Ich denke, hier bedarf es in Summe mehr Qualität und weniger Quantität. Derzeit wird die Berichtspflicht stets nur ausgeweitet, eine Evaluierung des Bestehenden erfolgt nicht. Ich wünsche mir daher eine sinnvolle Weiterentwicklung und nicht nur die stetige Ausweitung der Angaben. Am Ende sollte eine ineinandergreifende finanzielle und nachhaltige Berichterstattung stehen, die den Leser bestmöglich informiert und für alle Beteiligten einen Mehrwert bietet.