Korngröße nach Maß

Wie AMAG höchste Kundenanforderungen erfüllt

Im mikroskopischen Maßstab sind wärmebehandelte Aluminiumlegierungen Polykristalle, die aus einer Vielzahl von Kristallkörnern bestehen. Die Festigkeit einer Legierung ist umso höher, je kleiner die Körner sind. Die Oberfläche einer Legierung ist umso glatter, je kleiner die Körner sind. Große Körner sind jedoch vorteilhaft für die Ermüdungsbeständigkeit. Aber nicht nur die Größe spielt eine Rolle. Auch die bevorzugte Ausrichtung der Kristallite beeinflusst die Produkteigenschaften. Beispielsweise erhöht sich der Biegewinkel von Automobilblechen, wenn viele Körner mit ihrer Gitterstruktur in Walzrichtung ausgerichtet sind und somit eine bevorzugte Ausrichtung des sogenannten Würfeltyps aufweisen. Die Walz- und Glühschritte im AMAG-Produktionsprozess sind darauf abgestimmt, die Korngröße und die Kornausrichtung entsprechend den gewünschten Produktspezifikationen zu optimieren. Nur mit detaillierten Kenntnissen über die mikroskopischen Mechanismen, die während des Glühens aktiviert werden, ist es möglich, die Spezifikationen unserer Kunden in einem breiten Anwendungsspektrum zu erfüllen. Der Rest dieses Beitrags befasst sich eingehend mit der Rekristallisation (REX), das heißt, der Nukleation und dem Wachstum neuer Körner aus der kaltgewalzten Mikrostruktur, und stellt die modernsten experimentellen Geräte und Modellierungsmethoden vor, die in der Forschung der AMAG zum Einsatz kommen.

abbildung-1-korngroesse
Abbildung 1: Keimbildung und Wachstum rekristallisierter Körner während des Glühens bei konstanter Aufheizgeschwindigkeit: (a) nach dem Walzen, (b) bei Rekristallisationsbeginn, (c) vollständig rekristallisiert. Das Material ist eine Al-Fe-Si-Legierung für Folienanwendungen, die Bilder wurden mit einem Elektronenrückstreudetektor (EBSD) gemessen.
Abbildung 1: Keimbildung und Wachstum rekristallisierter Körner während des Glühens bei konstanter Aufheizgeschwindigkeit: (a) nach dem Walzen, (b) bei Rekristallisationsbeginn, (c) vollständig rekristallisiert. Das Material ist eine Al-Fe-Si-Legierung für Folienanwendungen, die Bilder wurden mit einem Elektronenrückstreudetektor (EBSD) gemessen.

Rekristallisation und Erholung

Nach dem Walzen weisen Aluminiumlegierungen eine Mikrostruktur auf, die aus länglichen Körnern besteht. Die Körner sind in Subkörner unterteilt. Die Körner sind durch Großwinkelkorngrenzen mit einer Misorientierung von mehr als 15 Grad voneinander getrennt, während die Fehlorientierung zwischen den Subkörnern mit typischerweise nur wenigen Grad wesentlich geringer ist. Beim Walzen wird ein Teil der für die plastische Verformung erforderlichen Arbeit in den Subkorngrenzen gespeichert. Je kleiner die Subkorngröße, desto höher ist die gespeicherte Energie. Bei der anschließenden Glühung bei erhöhten Temperaturen wird diese gespeicherte Energie durch zwei thermisch aktivierte Mechanismen reduziert: Erholung und diskontinuierliche Rekristallisation, auch als primäre oder statische Rekristallisation bekannt. Die Erholung bewirkt eine loga­rithmische Erweichung aufgrund von Versetzungsvernichtung und Subkornwachstum und beginnt unmittelbar nach dem Glühen. Die diskontinuierliche Rekristallisation ist durch die Keimbildung und das Wachstum von Körnern gekennzeichnet, die durch großwinklige Korngrenzen von ihrer Umgebung getrennt sind (Abbildung 1). Im Gegensatz zur Erholung führt die Rekristallisation zu einem sigmoidalen Abfall der Erweichungskurve und ihr geht eine Inkubationszeit voraus, die für die Bildung von Rekristallisationskeimen in der verformten Mikrostruktur erforderlich ist. In Zusammenarbeit mit Forschungspartnern am Zentrum für Elektronenmikroskopie in Graz und dem Institut für Werkstofftechnik und Technologie der TU Wien haben AMAG-Forscher ein Modell entwickelt, um den Beginn der Rekristallisation in gewalzten Aluminiumlegierungen vorherzusagen [1]. Die Rekristallisation wird durch die Menge der gespeicherten Energie und den Grad der vorherigen Verformung begünstigt. Die gespeicherte Energie allein reicht jedoch nicht aus. Die Korngrenzen müssen sich frei bewegen können und dabei einerseits den Widerstand kleiner Dispersoid-Partikel und andererseits den Widerstand der gelösten Mg- oder Fe-Atome überwinden. Es konnte eine einfache Gleichung abgeleitet werden, die die gespeicherte Energie, die Korngrenzenbeweglichkeit und die Erholungsgeschwindigkeit in Beziehung setzt, um den Beginn der Rekristallisation vorherzusagen. Das Modell und das damit verbundene Verständnis der mikroskopischen Mechanismen hinter der Rekristallisation unterstützen die weitere Optimierung des Produktionsprozesses der AMAG, um auch anspruchsvollste Spezifikationen durch eine optimale Rekristallisation zu erfüllen.

Kundenvorteil:

Unsere Kunden profitieren von der technologischen Expertise der AMAG bei der Optimierung der Korngröße und  Orientierung durch präzise Wärmebehandlungen, wodurch sichergestellt wird, dass die endgültigen Aluminiumlegierungsprodukte die spezifischen Anwendungsanforderungen erfüllen. Dieses detaillierte Wissen ermöglicht es der AMAG, hochwertige Produkte mit maßgeschneiderten Eigenschaften für verschiedene Branchen zu liefern und so die Leistung und Zuverlässigkeit zu verbessern.

abbildung-2-korngroesse
Abbildung 2: Simulationsverfahren bei Vollfeldsimulationen. Die Eingabedaten können aus experimentellen Messungen stammen, um eine virtuelle Mikrostruktur zu erzeugen, die in den Simulationen weiter verformt und geglüht wird. Die Abbildung zeigt, wie die Auswirkungen der Aufheizgeschwindigkeit auf die Rekristallisation untersucht werden können.
Abbildung 2: Simulationsverfahren bei Vollfeldsimulationen. Die Eingabedaten können aus experimentellen Messungen stammen, um eine virtuelle Mikrostruktur zu erzeugen, die in den Simulationen weiter verformt und geglüht wird. Die Abbildung zeigt, wie die Auswirkungen der Aufheizgeschwindigkeit auf die Rekristallisation untersucht werden können.

Mikrostruktursimulation

Für die Rekristallisationsmodellierung kombinieren wir zwei Modellierungswerkzeuge - DAMASK (Kristallplastizitätsmodell) und SCORE (Zellularautomatenmodell). DAMASK simuliert die Verformung des Materials während des Walzens auf mikroskopischer Ebene. Die Verformung für die gegebene Mikrostruktur wird auf einzelne Körner verteilt, basierend auf der Ausrichtung der Körner, die der Verformung widerstehen oder sie zulassen. Dies führt zu einer inhomogenen Verformung auf mikroskopischer Ebene. Außerdem führt die Verformung dazu, dass die Körner schließlich bevorzugte Ausrichtungen einnehmen, die der Verformung Rechnung tragen. SCORE nimmt eine solche verformte Mikrostruktur als Eingabe und simuliert den Glühprozess. Basierend auf der Inhomogenität der Verformung, ermittelt es, wo neue Körner entstehen, und simuliert dann deren Wachstum. Das Wachstum solcher Körner hängt ebenfalls von der inhomogenen Verformung im Material ab. Schließlich entsteht die rekristallisierte Mikrostruktur. Der gesamte Simulationsprozess ist in der folgenden Abbildung dargestellt. Basierend auf diesem Simulationsprozess, können wir die Orientierung der rekristallisierten Körner und die  Korngröße detailliert vorhersagen. Die Simulationswerkzeuge werden eingesetzt, um die Mikrostruktur für spezifische Anwendungen und Kundenspezifikationen zu optimieren.

 

Experimentelle Techniken

Die Rekristallisation ist aufgrund der schnellen Umwandlung, bei der die meisten mikrostrukturellen Veränderungen stattfinden, ein schwieriges Untersuchungsgebiet. Um sie zu charakterisieren, gibt es verschiedene Techniken, die von mikroskopischen Untersuchungen über Röntgenverfahren bis hin zu mechanischen Tests reichen. In einem Forschungsprojekt zwischen der AMAG rolling GmbH und FELMI-ZFE wurden mehrere Charakterisierungstechniken angewendet und bewertet.

Ein weit verbreitetes Verfahren ist die Messung der Härte. Die Änderung der Härtewerte ergibt eine Erweichungskurve, die auf Erholung und Rekristallisation zurückgeführt wird. Der offensichtliche Nachteil dieser Technik besteht darin, dass nur ein Durchschnittswert über ein großes Probenvolumen gemessen wird und keine Informationen über die Mikrostruktur gewonnen werden. Daher kann die Methode nicht zwischen Erholung und Rekristallisation unterscheiden. Bei aushärtbaren Legierungen kann auch eine gleichzeitige Ausscheidung die mechanischen Eigenschaften beeinflussen und somit die Erweichung stören. Alternativ bietet eine optische Mikroskopie-Serie von ex situ geglühten Proben einen guten Überblick über den Verlauf der Rekristallisation.Die Grenzen dieser Methode liegen in der begrenzten Auflösung eines optischen Mikroskops, wodurch keine Informationen über den Beginn der Rekristallisation und die Keimbildung gewonnen werden können. Darüber hinaus lassen sich Korngröße und  form nur schwer beurteilen, da nur Bilder ohne Orientierungsinformationen vorliegen. Mit einem Rasterelektronenmikroskop (REM) mit Elektronenrückstreudetektor (EBSD) kann die Mikrostruktur direkt gemessen werden, einschließlich Informationen über Körner, Orientierung und Textur. Im Falle einer Ex-situ-Serie ist diese Methode ideal, um die Mikrostruktur in mehreren Stadien der Rekristallisation zu erfassen. Im Vergleich zur Lichtmikroskopie stehen nach der Messung nicht nur mehr Informationen zur Verfügung, sondern es kann auch eine wesentlich bessere Auflösung erzielt werden. Außerdem können damit die Keimbildung und der Beginn der Rekristallisation untersucht werden. Die Grenzen liegen in der Probenvorbereitung, da die EBSD eine gute Oberflächenqualität erfordert, was die gesamte Messung zeitaufwändiger macht.Eine Weiterentwicklung der bisherigen Methode ist die Verwendung einer Heizbühne im REM. Die Glühung kann dann im REM durchgeführt werden und mittels EBSD wird die Veränderung der Mikrostruktur in situ mit schnellen Scans verfolgt. Der eigentliche Vorteil dieser Methode besteht darin, dass der gesamte Prozess an einer Probe in einem einzigen Bereich untersucht werden kann. So lassen sich die Keimbildung und das Wachstum einzelner Körner untersuchen. Aufgrund der Natur der Rekristallisation kann nur ein begrenzter Bereich untersucht werden, um die Scanzeit kurz zu halten. Die Erwärmung selbst beeinflusst die Messung ebenfalls durch thermische Drift und Wärmestrahlung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es eine Vielzahl von Methoden zur Untersuchung der Rekristallisation gibt, die jeweils ihre Stärken und Grenzen haben. Die optimale Wahl der Technik hängt stark von der spezifischen Forschungsfrage ab.

Quellen:

[1]   G. Falkinger et al.: Modelling Simul. Mater. Sci. Eng. 33 (2025) 025016.

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Was ist die Summe aus 8 und 3?