Nachhaltige Aluminium­legierungen

Innovative Werkstofflösungen zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks in der Gießereiindustrie

Aluminium im Spannungsfeld von Klimaschutz und Industrietransformation

Die globale Industrie befindet sich inmitten eines tiefgreifenden strukturellen Wandels, der nicht nur technologischer, sondern auch ökologischer Natur ist. Dieser Wandel wird maßgeblich durch den fortschreitenden Klimawandel, die zunehmende Verknappung natürlicher Ressourcen sowie durch instabile geopolitische Rahmenbedingungen vorangetrieben. Besonders betroffen ist hierbei die metallverarbeitende Industrie, die aufgrund ihrer energieintensiven Prozesse und ihres hohen Rohstoffbedarfs einen signifikanten Anteil an den globalen Treibhausgasemissionen trägt.Vor diesem Hintergrund gewinnt Aluminium als moderner Konstruktionswerkstoff noch mehr an Bedeutung. Es bietet nicht nur hervorragende physikalische Eigenschaften wie geringes Gewicht, hohe Festigkeit und gute Korrosionsbeständigkeit, sondern auch eine außergewöhnlich gute Rezyklierbarkeit. Diese Eigenschaften machen Aluminium zu einem vielversprechenden Schlüsselmaterial für die industrielle Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität.Die Aluminiumindustrie sieht sich daher einer doppelten Herausforderung gegenüber: Einerseits müssen immer höhere Anforderungen hinsichtlich Produkteigenschaften und Prozesssicherheit erfüllt werden, andererseits verlangt der Klimaschutz nach einer deutlichen Reduzierung der CO2-Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Ein besonders wirkungsvoller Hebel zur Emissionsminderung ist der vermehrte Einsatz von rezykliertem Aluminium, welches im Vergleich zur energieintensiven Primärerzeugung lediglich rund 5 Prozent der CO2-Emissionen verursacht. Damit trägt es in erheblichem Maß zur Erreichung nationaler und internationaler Klimaziele bei.

 

Herausforderungen bei der Entwicklung recyclingfreundlicher Legierungen

Trotz der offensichtlichen ökologischen Vorteile ist die werkstofftechnische Nutzung von Recyclingaluminium mit erheblichen Herausforderungen verbunden – insbesondere bei der Herstellung hochwertiger Guss- und Knetlegierungen für anspruchsvolle Anwendungen. In Branchen wie der Automobilindustrie, dem Maschinenbau oder der Luftfahrt bestehen hohe Anforderungen an die mechanischen, thermischen und korrosiven Eigenschaften der eingesetzten Werkstoffe. Um den steigenden Anforderungen an Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz gerecht zu werden, rückt die Qualität des eingesetzten Aluminiumschrotts zunehmend in den Fokus. Dabei sind nicht nur die chemische Zusammensetzung, sondern auch Aspekte wie Sortenreinheit und organische Verunreinigungen entscheidend. Die Anforderungen entstehen im Spannungsfeld zwischen der Verfügbarkeit von Recyclingmaterialien und den hohen Qualitätsansprüchen an moderne Legierungen – und bilden somit einen wesentlichen Entwicklungsschwerpunkt in der Werkstofftechnik.Ein zentrales Problem stellt oftmals die Heterogenität der verfügbaren Schrotte dar, insbesondere jener aus End-of-Life-Produkten, die bei deren Demontage anfallen. Diese enthalten oftmals ein breites Spektrum an Begleitelementen wie Eisen, Kupfer oder Zink, deren Konzentrationen außerhalb der engen Toleranzgrenzen klassischer Legierungen liegen, respektive sind sie auch oft vermischt. Solche Elemente können im Schmelzprozess nicht ausreichend getrennt werden, reichern sich an und führen zur Bildung unerwünschter intermetallischer Phasen. Diese spröden Mikrostrukturen beeinträchtigen nicht nur die mechanischen Eigenschaften des Endprodukts, sondern können auch elektrochemisch instabil sein und das Korrosionsverhalten negativ beeinflussen. Zusätzlich können diese End-of-Life-Schrotte auch organische Bestandteile enthalten, welche eine Verarbeitung erschweren können. Der innovative „Alloy-to-Alloy“-Ansatz, bei dem recyceltes Aluminium möglichst sortenrein derselben oder einer verwandten Legierung wieder zugeführt wird, lässt sich zunehmend schwerer in der Praxis umsetzen. Um den wachsenden Anforderungen an Recyclingfähigkeit und Werkstoffqualität gleichermaßen gerecht zu werden, ist eine kritische Überprüfung bestehender und etablierter Legierungssysteme unerlässlich. Dabei gilt es, die chemische Zusammensetzung gezielt im Sinne ökologischer Optimierung anzupassen, ohne dabei die anwendungsspezifischen Leistungsanforderungen zu vernachlässigen.

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Abbildung 1: Strukturgussbauteil mit Anforderungsprofil

Innovative Werkstofflösungen zur Senkung des CO₂-Fußabdrucks

Ein zentraler Schlüssel für den nachhaltigen Einsatz von Recyclingaluminium liegt in der Entwicklung neuer, toleranter Legierungskonzepte. Diese ermöglichen eine substanzielle Erhöhung des Einsatzes von Sekundäraluminium, ohne funktionale oder sicherheitsrelevante Materialeigenschaften wesentlich zu kompromittieren.Die Legierungen AlSi7 und AlSi10Mg haben sich als industrieller Benchmark für Gussbauteile im automobilen Bereich etabliert – prädestiniert für Räder und tragende Strukturbauteile (Abbildung 1). Ihre exzellente Gießbarkeit, mechanische Leistungsfähigkeit und hohe Korrosionsresistenz sind essenziell für die Anforderungen im Leichtbau. Die technologische Herausforderung liegt darin, diese Eigenschaften auch bei der Verwendung von stärker vermischtem Recyclingaluminium stabil zu gewährleisten. Basierend auf einer werkstoffsystematischen Analyse und gezielter Prozessentwicklung hat die AMAG recyclingoptimierte Varianten von AlSi7 und AlSi10Mg entwickelt. Die zulässigen Konzentrationsbereiche für Begleitelemente wie Eisen (Fe), Kupfer (Cu) und Zink (Zn) wurden kontrolliert erweitert – bei ausreichender Einhaltung der Anforderungen an Festigkeit, Dehnung, Dauerfestigkeit, Korrosionsbeständigkeit oder dem Gießverhalten. Damit wird eine signifikante CO₂-Reduktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette ermöglicht. Kern des Legierungsdesigns ist die Kontrolle intermetallischer Phasen. Durch die gezielte Einstellung des Fe:Mn-Verhältnisses wird die Bildung der spröden β-AlFeSi-Phase wirksam unterdrückt. Die Kombination mit Titan (Ti) und Strontium (Sr) erlaubt gleichzeitig eine Kornfeinung und Eutektikums-Modifikation, wodurch die Duktilität auf einem für sicherheitskritische Anwendungen erforderlichen hohen Niveau gehalten werden kann. Je nach spezifischer Anwendung kann eine gezielte Anpassung des Siliziumgehalts erforderlich sein, um eine optimierte Eignung für mechanische Fügeverfahren wie das Stanznieten sicherzustellen. Ein reduzierter Si-Gehalt fördert dabei die Duktilität im Fügebereich und minimiert das Risiko sprödbruchbedingter Versagensmechanismen. Auch die elektrochemische Stabilität der Legierung wurde gezielt untersucht. In kupferhaltigen Al-Si-Gusslegierungen stellt die ϴ-Al₂Cu-Phase eine korrosionsrelevante Schwachstelle dar. Durch kontrollierte Zinkzugaben wird Kupfer bevorzugt in die thermodynamisch stabilere τ-Phase überführt, deren niedrigeres elektrochemisches Potenzial den kathodischen Angriff auf die Aluminiummatrix deutlich reduziert. Ergänzend wurden die Toleranzgrenzen für Spurenelemente so festgelegt, dass potenziell kritische Ausscheidungen gezielt in unkritische Phasen eingebunden werden. Das Ergebnis ist eine Aluminiumstrukturgusslegierung auf AlSi10-Basis, die alle werkstofftechnischen Eigenschaften führender OEMs erfüllen kann. In umfangreichen Prüfungen, von dynamischer Beanspruchung über Korrosionslastfälle bis zur Bauteilerprobung unter Realbedingungen, konnte die Legierung ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Sie stellt somit eine technologisch validierte Lösung für die nachhaltige Substitution von Primäraluminium im automobilen Strukturguss dar und ermöglicht den Einsatz von hohen Gehalten an Recyclingaluminium.

Perspektiven für nachhaltige Aluminiumlegierungen - Werkstofflösungen

Die nachhaltige Transformation der Gießereiindustrie wird in entscheidendem Maße von der Verfügbarkeit intelligenter und zukunftsfähiger Werkstofflösungen abhängen. Aluminiumrecycling allein genügt dabei nicht – ausschlaggebend ist vielmehr das Zusammenspiel aus maßgeschneiderter Legierungsentwicklung, prozesssicherer Schrottaufbereitung und einer strategischen Weiterentwicklung des normativen Rahmens. Im Zentrum stehen daher folgende Lösungsstrategien, welche eng miteinander verknüpft sind:

  • die Entwicklung neuer Aluminiumlegierungen, die gezielt auf die Verarbeitung heterogener End-of-Life-Schrotte ausgelegt sind, ohne Einbußen bei Festigkeit, Korrosionsverhalten oder Verarbeitbarkeit,
  • die Anpassung bestehender Legierungssysteme durch erweiterte Toleranzgrenzen für Begleitelemente, um den Einsatz von Mischschrotten zu ermöglichen,
  • die Neu- bzw. Weiterentwicklung von Schrottaufbereitungstechnologien mit Fokus auf die gezielte Trennung von komplexen Schrottfraktionen,
  • der systematische Aufbau einer effektiven und effizienten Kreislaufwirtschaft auf europäischer Ebene zur Sicherstellung der Schrottverfügbarkeit,
  • die Integration digital unterstützter Prozesssteuerung - etwa durch Echtzeit-Analytik während der Schmelzführung oder KI-gestützte Sortiertechnologien zur frühzeitigen Identifikation chemischer Varianzen
  • sowie die Überarbeitung bestehender Normen und Bauteilspezifikationen der OEMs, um den notwendigen technologischen Spielraum für eine flexiblere Nutzung von Sekundärrohstoffen zu schaffen.

Diese Maßnahmen sind zentrale Bausteine für eine resiliente, ressourceneffiziente und zukunftsfähige Gießereiindustrie in Europa. Auf Basis langjähriger Entwicklungsarbeit bietet die AMAG ihren Kunden maßgeschneiderte Lösungen entlang der gesamten Aluminium-Wertschöpfungskette. Dazu zählen die gezielte Legierungsentwicklung, die Schrottkreislauf-Logistik, die effiziente Aufbereitung von Aluminiumschrotten sowie die Lieferung hochwertiger Produkte. So unterstützt die AMAG ihre Partner dabei, nachhaltige und leistungsfähige Aluminiumprodukte wirtschaftlich umzusetzen.

Fazit

Nur durch die koordinierte und offene Zusammenarbeit aller Akteure, vom Werkstoffhersteller über den Gießer bis zum OEM – kann ein geschlossener Aluminiumkreislauf mit hoher Materialeffizienz und minimalem CO₂-Ausstoß realisiert werden. Nachhaltige Aluminiumlegierungen bilden somit das Fundament einer ökologisch verantwortungsvollen, gleichzeitig aber auch technologisch anspruchsvollen Gießereiproduktion der Zukunft.

Quellen:

[1]  IPCC (2023): Sixth Assessment Report[2]   BDI (2020): Klimapfade 2.0 für Deutschland[3]  European Aluminium (2021): Aluminium in Cars - Unlocking the Lightweighting Potential[4]  IAI (2022): Aluminium Recycling: A Pathway to Sustainable Development[5]  IAI (2020): Life Cycle Inventory Data and Environmental Metrics[6]  World Economic Forum (2020): Net-Zero Challenge[7]  Friedrich, H. & Scharifi, E. (2013): Leichtbau in der Fahrzeugtechnik[8]  European Aluminium (2018): Circular Aluminium Action Plan[9]  Couperthwaite, J.S. et al. (2016): Impurity effects in secondary aluminium alloys[10]  Gesing, A. (2014): Aluminium Recycling - Sustainability and Environmental Issues

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